Wirtschaft Münsterland: TTIP – „Chance oder Risiko?“ – Podiumsdiskussion zum Freihandelsabkommen
Quelle: “Wirtschaft Münsterland”, Ausgabe 4 / 2015
Voll besetzt war am 23. September der Lichthof in Stroetmanns Fabrik bei der Podiumsdiskussion „TTIP Chance oder Risiko“, zu der das europe direct Informationszentrum der WESt mbH und die Europa Union Kreisverband Steinfurt alle interessierten Bürgerinnen und Bürger nach Emsdetten eingeladen hatten.
Das Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA, kurz TTIP (englisch für „Transatlantic Trade and Investment Partnership“) wird sehr kontrovers diskutiert und beherrscht seit Wochen die Medien. Ökonomen sehen durch die Vereinfachung von Handelsvorschriften und die Vereinheitlichung von Vorschriften und Industrienormen eine Öffnung des US-Marktes auch für mittelständische Unternehmen, wie sie das Münsterland prägen. Gegner fürchten den Verlust europäischer Verbraucherstandards und prangern die Geheimhaltung an.
Kreisdirektor Dr. Martin Sommer wies in seinem Grußwort darauf hin, dass die Europäische Kommission von dem massiven Widerstand und der Polarisierung überrascht wurde, haben doch die Mitgliedsstaaten ihr das Verhandlungsmandat erteilt.
Der Europaabgeordnete Dr. Markus Pieper ist Befürworter des Freihandelsabkommens mit den USA, weil er Innovation und Investition in Europa und Deutschland erhalten möchte. Der Wegfall der zusätzlichen Normierung für den amerikanischen Markt würde für Firmen die Gewinnmarge ausmachen. Diese aber führe zu Investitionen und damit zu Arbeitsplätzen.
Dass Marktzulassungen nicht doppelt auf beiden Seiten des Atlantiks erfolgen müssen, ist auch die Überzeugung von Stefan Engstfeld, europapolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die GRÜNEN im NRW-Landtag. Aber er bezweifelt die Notwendigkeit, dass TTIP so viele Bereiche umfassen müsse.
Wie viele Arbeitsplätze TTIP bringt, ist reine Kaffeesatzleserei, darin waren sich die Talkgäste einig. Wolfgang Tenbusch, Geschäftsführer der Albaad Deutschland GmbH, der eine differenzierte Haltung zu TTIP hat, machte deutlich, mit welcher Wirtschaftsmacht China und Indien auf den Markt drängen. Da sei es nicht zur Stärkung sondern zur Erhaltung unserer Wirtschaftskraft wichtig, die Industrienormen anzugleichen. Er fühle sich für seine Mitarbeiter verantwortlich, deren Arbeitsplätze es zu erhalten gilt.
Zum Vorwurf der Geheimhaltung entlasteten sowohl Dr. Markus Pieper als auch Stefan Engstfeld die Europäische Kommission. Die Kommission hätte die Dokumente gerne früher veröffentlicht, aber das hätten die Mitgliedsstaaten nicht gewollt. Aber für Engstfeld gehe es nicht nur um die Möglichkeit, die Dokumente einzusehen, sondern auch der Verhandlungsverlauf müsse nachvollziehbar sein.
Kontrovers wurden auch die Schiedsgerichte diskutiert. Ursprünglich waren sie Bestandteil von Handelsabkommen, um Unternehmen vor Enteignung zu schützen. Die Albaad Deutschland GmbH – Marktführer für Feuchttücher in der Kosmetik – gehöre mit ihren knapp 500 Mitarbeitern zwar zu den größeren Mittelständlern, sie habe aber nicht die Mittel, um ein Schiedsgerichtsverfahren in Gang zu setzen, so Tenbusch. Dies können nur Großkonzerne. Auch der Grünenpolitiker hält Schiedsgerichte zwischen Rechtsstaaten für nicht erforderlich, sondern befürchtet die Einflussnahme. Dr. Pieper geht davon aus, dass amerikanische Investoren mehr Vertrauen in private Schiedsgerichte als in staatliche Gerichtsbarkeit bei 28 Mitgliedsstaaten hätten.
Die öffentliche Daseinsvorsorge sei von TTIP nicht betroffen, dies sei in den Verträgen entsprechend aufgenommen worden. Auch die staatliche Kulturförderung sei nicht betroffen, ist sich der Europaabgeordnete sicher. Ob dies auch die Buchpreisbindung beinhalte, bezweifelte der europapolitische Sprecher von Bündnis 90/Die GRÜNEN
Den Nutzen von Freihandel als Basis für Wohlstand stellte keiner der Podiumsgäste in Frage, aber es gehe um die Ausgestaltung. Freihandelsabkommen gebe es viele, aber nur das Transatlantische stehe so stark in der Diskussion. Auf die Frage von Moderator Dr. Ralf Hell nach dem Vertragsabschluss, glaubten die Talkgäste auch nicht, dass TTIP noch unter der Präsidentschaft von Barack Obama Realität werden würde.
Im Schlusswort verlieh der Kreisvorsitzende der Europa Union, Hubert Scharf, seiner Befürchtung Ausdruck, dass sich die Europäische Union in der Flüchtlingsproblematik auseinander dividiere und appellierte, den Mut zu haben, mehr Union in Europa zu wagen. Er freute sich zudem über die Teilnahme des designierten Landrats des Kreises Steinfurt, Dr. Klaus Effing, der auch stellvertretender Vorsitzender der Europa Union Steinfurt ist. Im Namen der Veranstalter, dem europe direct Informationszentrum der WESt und der Europa Union, Kreisverband Steinfurt, bedankte er sich bei den Gästen auf dem Podium für die sachliche und informationsreiche Diskussion.