The Wall Street Journal: Transatlantischer Freihandel: “Es gibt Störfeuer”
Quelle: The Wall Street Journal.
Der CDU-Europaabgeordnete Markus Pieper spricht im WSJ-Interview über Hormonfleisch, deutsche Autos und die Chancen eines neuen Handelspakts zwischen EU und USA.
Von Stefan Lange
Herr Pieper, was erwartet der Mittelstand vom Freihandelsabkommen?
Wir sehen das Abkommen als große Chance. Wenn in möglichst vielen Bereichen Zölle, Doppelregulierungen und Investitionsbeschränkungen wegfallen, dann ist das eine große Erleichterung für exportorientierte Betriebe. Es geht zum Beispiel darum, dass Normen standardisiert werden.
Nehmen wir die Autoproduktion, wo es viele unterschiedliche Teile gibt, die alle für sich unterschiedlich genormt sind. Wenn wir dazu kommen können, dass die Sicherheitsnormen auch für Maschinen in den USA und der EU gleichermaßen gelten, ist das plötzlich ein ungleich größerer Markt für Produzenten, die sich mit der entsprechenden Technik auskennen. Besonders für kleinere mittelständische Unternehmen, die keine eigenen oder nur kleine Forschungsabteilungen haben, ergeben sich deutlich größere Marktchancen.
Welche Chancen bietet das Abkommen den Bürgern in Deutschland und Europa?
Wenn Zölle abgeschafft und Normen angeglichen werden, bedeutet das unterm Strich niedrigere Preise. Es gibt Berechnungen zum Beispiel für die Autoindustrie, dass ein Mittelklassewagen allein durch das Freihandelsabkommen 500 Euro billiger wird, für ein Modell der Oberklasse sind es bis zu 1.000 Euro.
Markus Pieper ist Chef der Europakommission der deutschen Mittelstandsvereinigung und sitzt für die CDU im Europaparlament.
Außerdem treten mehr Unternehmen in einen Wettbewerb zueinander, die Auswahl vergrößert sich, die Vergleichbarkeit erhöht sich. Es gibt Berechnungen, wonach sich allein der zusätzliche Gewinn in Europa und den USA pro Jahr auf gut 100 Milliarden Euro erhöht.
Umgerechnet auf die Arbeitseinkommen und Haushalte in der EU bedeutet das für jeden europäischen Haushalt ein Mehreinkommen von durchschnittlich 500 Euro. Verfügbares Geld, alleine durch das Abkommen. Im Grunde genommen kann man von einem Konjunkturprogramm für mehr Wachstum, mehr Kaufkraft, und mehr Arbeitsplätze sprechen.
Die Verhandlungen laufen. Gibt es Punkte, die nach Ihrer Einschätzung in die falsche Richtung gehen, wo Sie schon jetzt Korrekturbedarf anmelden?
Man muss schon aufpassen. Deswegen fangen die Verhandlungsführer ja auch mit unkritischen Punkten an, etwa im Bereich Konsumgüter, mit Maschinen, mit Pkw. Da, wo es um Lebensmittel geht, um konkrete Verbraucherinteressen – man denke an die Gentechnik, an Hormonfleisch, an Chlorhühner und was es da alles gibt – darüber sollte man zunächst nicht verhandeln.
Wenn wir der Meinung sind, dass es Bereiche gibt, bei denen wir ins Hintertreffen geraten könnten, dann werden wir die zunächst von den Verhandlungen ausnehmen. Das gilt etwa für Bereiche des Verbraucherschutzes oder Umweltschutzes, die Arbeitnehmerrechte – das wollen wir ja auf gar keinen Fall verwässern. Die Kommission hat auch das schwierige Kapitel Investorenschutz zunächst ausgenommen, weil da die Unterschiede zwischen Europa und den USA sehr groß sind.
Dann wird peu à peu nachverhandelt, und ich kann mir nicht vorstellen, und dem wird die europäische Politik auch entgegenwirken, dass wir da in irgendeiner Form unsere Standards senken werden.
Wie ist es bei dem ganzen Verhandlungsverfahren um die Transparenz bestellt? Es gibt viele kritische Stimmen, die mehr Offenlegung fordern.
So, wie es bislang läuft, muss man eindeutig sagen: Ein solches Maß an Transparenz aber auch an Kritik hat es in der Europäischen Union noch nicht gegeben. Man muss sich vor Augen halten, dass alleine Deutschland 140 bilaterale Abkommen zu Investitionsmodalitäten hat. Die Europäische Union hat Handelsabkommen mit Lateinamerika, mit der Schweiz und vielen anderen.
Darum hat sich bisher noch niemand so richtig geschert, und nur weil es jetzt um eine engere Kooperation mit den USA geht, liegt der öffentliche Fokus auf diesen Verhandlungen. Vielleicht wegen der NSA-Debatte und die besondere Form der Marktfreiheit in den USA auch teilweise zu Recht.
Aber was die Kommission uns bislang an Transparenz bietet, das ist schon beispielhaft. Die Verhandlungspositionen der EU können alle auf der Internetseite der Generaldirektion Handel nachgelesen werden. Das Angebot wird fast jeden Tag aktualisiert. Es gibt Fragen- und Antworten-Kataloge im Netz der Kommission.
Wir sind als Europäisches Parlament mit dem Handelsausschuss, mit den zuständigen Berichterstattern, regelmäßig mit den Verhandlungsführern der Kommission zusammen. Wir können im Parlament nicht sagen, wir seien nicht informiert. Die Abgeordneten haben Zugang zu allen wesentlichen Verhandlungsdokumenten. Schließlich muss das Europaparlament dem Ergebnis der Verhandlungen ja auch zustimmen.
Mögen Sie eine Prognose wagen, wann das Freihandelsabkommen unterzeichnet wird?
Das hängt von den politischen Störfeuern ab. Es wird ja alles miteinander in Verbindung gebracht, und es gibt leider vor allem von der linken Seite diese Störfeuer, beispielsweise den Versuch, die NSA-Affäre mit den Verhandlungen untrennbar in Verbindung zu setzen, obwohl das eine ganz andere Geschichte ist. Eigentlich könnte man sehr schnell sein und in ein bis zwei Jahren die ersten Ergebnisse haben. Aber wenn man jetzt blockiert und Argumente vorschiebt, die mit der Sache an sich nichts zu tun haben, dann kann das auch eine Never-Ending -Story werden.
Kontakt zum Autor: stefan.lange@wsj.com