Welt online: Ökostrom-Umlage; Oettinger legt bei Verfahren gegen Deutschland nach
EU-Kommissar Günther Oettinger mag die Untergangstimmung nicht teilen: Eine Befreiung von der EEG-Umlage werde es weiter geben – aber nur für Unternehmen, die sie auch wirklich nötig haben.
Die EU-Kommission hat ihre Entscheidung verteidigt, ein Verfahren gegen Deutschland wegen der Ökostrom-Rabatte für industrielle Großkunden einzuleiten. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) müsse reformiert werden: “Es ist richtig, dass die EU-Kommission ganz generell alle diskriminierenden Aspekte des EEG unter die Lupe nimmt”, sagte Energiekommissar Günther Oettinger.
Die Bundesregierung sieht das anders – und hat in ihrer jungen Amtszeit den ersten handfesten Konflikt mit Brüssel: Es gebe keinen Grund für die anstehende wettbewerbsrechtliche Überprüfung durch die Kommission, sagte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Vielmehr versuche die Kommission, sich in nationale Energiepolitik einzumischen.
Energieintensive Unternehmen etwa der Chemie- oder Metallindustrie können in Deutschland eine Ausnahme von der Umlagefinanzierung von Wind- und Sonnenstrom erwirken. 23 Milliarden Euro bürdet die Bundesregierung den Verbrauchern und Firmen zur Finanzierung der Energiewende derzeit im Jahr auf.
Rund 2300 Unternehmen genießen eine Zahlungsbefreiung in Höhe von insgesamt fünf Milliarden Euro im Jahre 2014.
Oettinger sieht nun die schwarz-rote Koalition am Zug: “Das ist jetzt eine echte Chance für die Bundesregierung, um das EEG zukunftsfähig und europarechtskonform zu machen. Und damit Wettbewerbsfähigkeit und Jobs nachhaltig zu sichern”, sagte er.
Eine Reform bedeute nicht das Ende aller Ausnahmeregelungen und Rabatte für Großkunden. “Es wird nicht dazu kommen, dass alle Ausnahmen komplett gestrichen werden”, betonte Oettinger. “Wir müssen nur weg vom Gießkannenprinzip. Die energieintensiven Unternehmen, die wirklich im internationalen Wettbewerb stehen, werden weiterhin Ausnahmen bekommen.”
Und er sieht noch einen Vorteil in den Forderungen seines spanischen Kollegen Almunia: “Weniger Ausnahmen heißt auch, dass die Verbraucher und alle anderen Unternehmen weniger zahlen müssen.”
Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia hält die Ökostrom-Rabatte der Industrie für rechtlich zweifelhaft, da sie den betroffenen Unternehmen staatlich finanzierte Vorteile gegenüber ihrer Konkurrenz in Europa verschaffen könnten. Er konzentriert sich allerdings nur auf die seit einer Änderung des EEG im Jahre 2012 geltende Rechtslage.
Damit ist die große Angst der Industrie vom Tisch, Vergünstigungen bis zurück ins Jahr 2003 zurückzahlen zu müssen.
Zudem teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit, einen sofortigen Stopp der Rabatte werde es nicht geben, die Kommission habe dies auch nicht verlangt. Die neue Bundesregierung hat eine Reform des EEG bis zum kommenden Frühjahr angekündigt. Diese werde man mit der EU-Kommission besprechen, kündigte Gabriel an.
Vor dem Wegfall der Vergünstigungen warnte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI): “Der Ausgang des Prüfverfahrens hat erheblichen Einfluss auf die Zukunft des Industriestandorts Deutschland. Ein Wegfall der Entlastungen für energieintensive Unternehmen wäre für viele Unternehmen und Tausende Arbeitsplätze das sofortige Aus”, sagte BDI-Präsident Ulrich Grillo.
Auch die Stahlindustrie, die besonders von einem Wegfall der Ausnahmeregeln betroffen wäre, reagierte warnend: “Die Stahlindustrie ist im internationalen Wettbewerb auf die bestehenden Entlastungsregelungen dringend angewiesen. Bei einem Wegfall drohen Arbeitsplatzverluste”, sagte Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Düsseldorfer Wirtschaftsvereinigung Stahl.
“Die Stahlindustrie in Deutschland wird 2014 EEG-Umlagenzahlungen in Höhe von rund 300 Millionen Euro leisten, ohne Härtefallregelungen wären es eine Milliarde Euro. Das ist annähernd der Betrag, den die Stahlindustrie jährlich investiert”, sagte Kerkhoff.
Die Tatsache, dass Almunia nur Teile des EEG direkt angreift, zugleich aber sehr viel stärker die Ökostrom-Rabatte der Industrie aufs Korn nimmt, löste unter Umweltschützern und Ökostrom-Verbänden Erleichterung aus. Insgeheim hofft man dort nun, das System staatlich garantierter Einspeisevergütungen über die Zeit retten zu können.
“Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat diesen Schritt selbst verschuldet”, kommentiert etwa Greenpeace-Sprecher Tobias Austrup das Verfahren der EU-Kommission: “Sie hat mit ihren ausufernden Industrieprivilegien bei der Ökostrom-Umlage unnötig die Energiewende gefährdet.”
Das deutsche EEG sei aber mit europäischem Recht grundsätzlich vereinbar, zitiert Astrub aus der EU-Verfahrensschrift. “Die neue Bundesregierung muss nun die Industrieausnahmen so verringern, dass das EEG als wichtigstes Instrument der Energiewende aus der Schusslinie gerät.”
Vertreter der Wirtschaft und der Energiebranche glauben jedoch nicht, dass sich Brüssel allein mit einer Reform der Industrie-Privilegien zufrieden geben wird: Aus ihrer Sicht ist die Ökostrom-Förderung nach dem EEG mit den Industrie-Privilegien untrennbar verbunden. Die Reform des einen müsse sich auch auf das andere auswirken.
Politiker des CDU-Wirtschaftsflügels etwa fordern eine Generalrevision der Einspeisevergütung für Ökostrom. Stromrabatte für energieintensive Industrien seien nur ein Symptom einer insgesamt verfehlten Gesetzgebung.
Vielmehr müsse das System der 20-jährigen Einspeisevergütung mit Einspeisevorrang für Ökostrom durch Brüssel insgesamt korrigiert werden, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme der drei Parlamentarier und Mittelstandssprecher Carsten Linnemann, Markus Pieper und Hendrik Wüst.
Wenn die EU-Kommission die Förderung Erneuerbare Energien europaweit harmonisieren möchte, helfe kein “Herumdoktern an Symptomen”. Anstatt die Ausnahmen im Fokus zu haben, bedürften die nationalen Einspeisesysteme – nicht nur in Deutschland – dringend einer EU-rechtlichen Neubewertung.
Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) wertet das EU-Verfahren offenbar als Auftrag, die gesamte Ökostromförderung zu reformieren. “Es ist positiv, dass die Kommission das EEG nicht grundsätzlich in Frage stellt”, betonte BDEW-Chefin Hildegard Müller. “Dennoch besteht erheblicher Reformbedarf beim EEG.”
Die mit der Befreiung der energieintensiven Industrien verbundene Diskussion um die Kostenentwicklung des EEG und die Belastungen der Stromkunden gehe an der eigentlichen Aufgabe vorbei, so Müller: “Es muss in Zukunft vor allem darum gehen, die Entwicklung der Gesamtkosten des EEG zu begrenzen, anstatt nur über die Verteilung der Kosten zu reden.”
Der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Joachim Pfeiffer, betonte, dass das EEG eine Be- und keine Entlastung sei: “Die aus dem EEG resultierenden Kosten von inzwischen über 23 Milliarden Euro jährlich sind eine Sonderlast für die deutschen Stromverbraucher – einschließlich der deutschen Industrie”, sagte er. “Die Entlastung von dieser Sonderlast verschafft der energieintensiven Industrie keinen Vorteil gegenüber europäischen Wettbewerbern. Sie ist lediglich ein teilweiser Ausgleich für einen bestehenden erheblichen Wettbewerbsnachteil.”