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Westfalenblatt: Debatte mit heimischen Unternehmern: EU-Experte Markus Pieper kämpft für TTIP

Nieheim (WB).  Deutschland gehört nicht mehr zu den Top 10 der weltweit konkurrenzfähigsten Länder. Bröckelnde Infrastruktur, hohe Arbeits-und Sozialkosten sowie aufstrebende Mitbewerber wie China und Indien führen dazu, dass es für die Bundesrepublik immer schwieriger wird ganz oben mitzuspielen. Das Freihandelsabkommen TTIPP soll den Handel mit den USA beflügeln. Für den Vertrag kämpft der CDU-Europaabgeordnete und EU-TTIP-Fachmann Dr. Markus Pieper (53).  WESTFALEN-BLATT-Redakteur Michael Robrecht sprach mit ihm am Rande des MIT-Podiums in Nieheim-Holzhausen.

?Das TTIP-Abkommen ist umstritten. Mit welchen Argumenten wollen sie Bürger, Wirtschaft und Gesellschaft davon überzeugen, dass der Freihandelsvertrag mit den USA auch für uns von Vorteil ist?

Markus Pieper:  Europa verliert jedes Jahr bis zu zwei Prozent Wertschöpfungspotenzial und immer mehr Märkte an China oder die USA. Viele Handwerksbetriebe und Industrieunternehmen in der Region, auch im Kreis Höxter,  sind in den vergangenen Jahren stark in internationale Märkte hineingewachsen. Das soll so bleiben. Gute Beispiele sind die heimischen Firmen Phoenix Contact, Spier oder Optibelt. Wir sind Exportweltmeister. Doch ohne Freihandel und Wachstum in neuen Märkten gefährden wir unsere gute Position. Gerade der freie Handel hat doch die EU stark gemacht. Und wir Deutschen spielen diese Klaviatur der Globalisierung am besten und deshalb brauchen wir neue Perspektiven wie durch das TTIP-Abkommen. Es wäre mit Blick auf Arbeitsplätze und Wohlstand – besonders auch im ländlichen Raum  –  verantwortungslos zu sagen, wir spielen beim weltweiten Freihandel nicht mehr mit. Dann sind wir schon bald die verlängerte Werkbank Chinas, verlieren Innovationsführerschaft und Arbeitsplätze.

? Wird TTIP noch bis zur US-Präsidentschaftswahl im November unterschriftreif sein?

Pieper: Das ist unser Ziel. Aber nur wenn es keine, aber auch gar keine, Abstriche beim Umwelt- und Verbraucherschutz gibt. Das liegt übrigens auch im Interesse der USA. Wir akzepieren keine Gentechnik. Sie haben strengere Abgaswerte oder wollen kein Antibiotikum in der Hähnchenmast. Deshab wird es wohl zunächst ein “TTIP-Vertrag light” werden. Einige strittige Punkte  – wie im Verbraucherschutz  – müssen ausgeklammert werden. Die US-Amerikaner haben im pazifischen Raum längst etliche Freihandelsabkommen mit anderen Staaten unterzeichnet. Die zahlen nicht mehr wie die EU-Länder zehn Prozent Zoll auf eingeführte Autos und haben einheitliche Sicherheitsstandards für Maschinen. Um unser Niveau hier in Deutschland zu halten, müssen wir auch auf den riesigen US-Markt setzen. Sonst werden wir sehr schnell wirtschaftlich abgehängt.  Es geht nicht einmal um mehr Jobs, sondern darum, den Status Quo zu halten und nicht zurückzufallen.

Es ist schon merkwürdig: Die EU hat bereits 120 Freihandelsabkommen unterzeichnet, aber noch nie war ein Vertrag so umstritten wie TTIP mit den USA. Da  spielt sicher ein in Deutschland stark vorhandener antiamerikanischer Reflex eine Rolle, aber auch das Misstrauen nach NSA-Abhöraffäre und eine generelle Globalisierungskritik machen Probleme. Die EU hat das unterschätzt. Die Bevölkerung fordert zu Recht mehr Information ein.

? Bürgermisstrauen, lange  fehlende Transparenz über den Verhandlungsstand, das Gefühl der Hinterzimmerkungelei  und der Vorwurf, der Verbraucherschutz spiele keine Rolle, haben dazu geführt, dass viele Medien und viele Bürger TTIP so nicht wollen. Wie nimmt man die Leute mit?

Pieper:  Meine große Sorge ist, dass durch Punkt für Punkt wiederlegbare Fehlinformationen – – besonders durch Kampagnen in sozialen Netzwerken und in Medien – – eine große Verunsicherung entsteht. Bewusste Fehlinformation, wie Fracking werde jetzt bei uns zugelassen, wichtige Verbraucherschutzregeln würden ausgehebelt oder Gentechnik und Chlorhühnchen landeten im großen Ausmaß im Supermarktregal bestehen keinen Faktencheck. Die EU-Kommissin, das Parlament und auch der deutsche Gesetzgeber haben doch klare rote Linien gezogen. Die weicht niemand auf. Wir bestehen auf europäische Standards, wir treffen eindeutige Vereinbarungen, bei Lebensmittteln gibt es einen klaren Herkunftsnachweis, wir kontrollieren, was ins Land kommt. Aufweichungen sind mit der CDU nicht zu machen.

Übrigens wird das, was jetzt an TTIP-Ergebnissen auf den Tisch gelegt worden ist, von Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden auch gar nicht kritisiert. Am Ende müssen das Europaparlament und der Bundestag bewerten, ob rote Linien überschritten sind. Wenn ja, kein TTIP. Noch eine Bemerkung zum Thema Bedarf an aktueller Information. Die mehrsprachigen Seiten auf der Homepage der EU-Kommission mit den Verhandlungsergebnissen haben europaweite pro Tag nur knapp 70 Klicks…

Was hören Sie von heimischen Unternehmen in Sachen TTIP?

Pieper: Viele möchten die Zölle weghaben, sie sind für einheitliche Zertifizierungsregeln. Viele versprechen sich den Abbau von verschiedenen Erschwernissen im US-Handel. Wir als CDU sind eindeutig für ein verbraucherfreundliches TTIP, die Mittelstandsvereinigung auch. TTIP wird gerade kleine und mittlere Betriebe  fördern und enthält ein eigenes Kapitel mit speziellen Anforderungen kleiner Firmen.

? Die Umfragewerte für die CDU und Kanzlerin Merkel sind im freien Fall. Die AfD ist zweistellig. Plötzlich gibt es rechts von CDU/CSU eine größere konservative Gruppierung. Und: Die Flüchtlingsthematik spaltet die Union. Kann das so weitergehen?

Pieper: Nein. Frau Merkel und Herr Seehofer müssen sich einigen; dann werden wir schnell Ruhe bekommen. Eine Millionen Flüchtlinge in 2015 war eine einmalige humanitäre Leistung unseres Landes, die sich auch nicht ansatzweise wiederholen lässt. Das müssen wir gemeinsam stärker betonen. Es ist nicht die CDU, die die Einstufung nodrdafrikanischer Staaten als sichere Herkunftsländer im Bundesrat blockiert, das sind Grüne und SPD. Das müssen wir betonen und uns nicht selbst zerfleischen. Und wir schauen auch viel zu ängstlich auf die AfD-Positionen. Wenn die AfD ein Thema besetzt, dann meinen wir, wir dürften die Thematik nicht mehr ansprechen. Das ist falsch. Ein Beispiel: die Diskussion über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht. Verteidigung und Bundeswehr ist ein klassisches CDU-Thema. Da  sollten wir uns  an die Spitze der Debatte setzen und nicht zurückschrecken. Ja, wir brauchen bei unseren vielen internationalen Verpflichtungen eine stärkere Bundeswehr. Das kann doch kein Tabu sein, nur weil die AfD, die mit ihren antikirchlichenn, nicht nur antiislamischen Positionen übrigens eine atheistische Partei ist,  das anspricht. Und auch der Satz „”Der Islam gehört zu Deutschland“” steht nicht im Parteiprogramm der NRW-CDU. Das müssen wir den Leuten auch sagen, wir müssen viel offensiver werden.

Soll Angela Merkel CDU-Kanzlerkandidatin im Herbst 2017 sein?

Pieper: Die Kanzlerin wird die Kanzlerkandidatin werden. Da bin ich mir sicher.

Veröffentlicht am 3. Juni 2016 in
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