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dpa Insight EU: Energieeffizienzrichtlinie – Zum Stromsparen verpflichtet

Von Wolf von Dewitz, dpa
 
Im Prinzip sind sich alle Seiten einig: Energieeffizienz ist eine gute Sache. Die beste Energie ist diejenige, die man gar nicht braucht. Bis 2020 gelten in der EU Regeln zum Stromsparen. Nun wird debattiert, ob die Regeln fürs nächste Jahrzehnt verlängert werden. (Neu: Oettinger klar für Pflichtziel, 28.5.)

Brüssel (dpa Insight) – Brüssel will Europas Energieverbrauch durch Stromspar-Pfichten senken. Bis 2020 soll die Energieeffizienz um 20 Prozent verbessert werden, Prognosen zufolge dürften aber nur 17 Prozent erreicht werden. Das Ziel ist unverbindlich, allerdings sind den EU-Staaten Pflichtmaßnahmen vorgeschrieben wie etwa eine jährliche Einsparpflicht von 1,5 Prozent der Energie beim Endkunden. Mit den Vorgaben werden besonders Energiekonzerne und Stadtwerke in die Pflicht genommen. Deutschland hat die EU-Vorgaben noch nicht in nationales Recht überführt, bis Sommer 2014 muss das geschehen.

Nun wird in Brüssel debattiert, ob es auch im nächsten Jahrzehnt Effizienzpflichten geben soll. Energiekommissar Günther Oettinger ist generell für neue Vorgaben – welche genau, sagt er noch nicht. Eine Möglichkeit wäre eine neue Stromsparpflicht, die diesmal verbindlich vorgegeben würde. Das zumindest fordert das EU-Parlament in einem Initiativbericht von Januar 2014. Hierin sprechen sich die Abgeordneten für eine Effizienzverbesserung von 40 Prozent aus. Referenzwert ist eine Prognose aus dem Jahr 2007 für das Jahr 2020, wieviel Energie ohne neue EU-Vorgaben verbraucht würde («business as usual»).

Importabhängigkeit soll vermindert werden

Jedes Jahr gibt die EU etwa 400 Milliarden Euro für Energieimporte aus. Eine verbesserte Energieeffizienz würde diesen Betrag senken. Auch vor dem Hintergrund der Krimkrise und dem fragwürdigen Agieren des Erdgas-Giganten Russland gewinnt die Frage der Energieeffizienz an Bedeutung. So weist der Grünen-Europaabgeordnete und Energieeffizienz-Verfechter Claude Turmes darauf hin, dass die EU 150 Milliarden Euro für Gas, Öl und Kohle an Russland zahle.

«Damit machen wir Putin stark. Mit besserer Energieeffizienz könnte der Scheck für russische Importe reduziert werden, stattdessen würden etwa europäische Handwerker Geld für Isolierungsarbeiten bekommen.»

Der CDU-Parlamentarier Peter Liese unterstützt ebenfalls ambitionierte Effizienzpflichten. Die deutsche Wirtschaft profitiere besonders von Aufträgen für Wärmedämmung von Gebäuden und andere Effizienzmaßnahmen. «Dies ist volkswirtschaftlich und politisch viel sinnvoller, als die Oligarchen in Russland oder die ölexportierenden Staaten wie Libyen und Iran durch Öl- und Gaseinkäufe zu unterstützen», sagt Liese. Effizienz-Verbesserungen seien der «kostengünstige Teil der Energiewende».

Kritiker wie der FDP-Europaabgeordnete Holger Krahmer sind hingegen strikt dagegen, sie warnen vor einem wirtschaftsschädlichen «Bürokratiemonster», CDU-Politiker wie Herbert Reul oder Markus Pieper sind ähnlicher Meinung – sie sehen ein mögliches neues Effizienz-Ziel als schweren Fehler.

Status Quo in der EU-Kommission

Die EU-Kommission legte im Rahmen ihres im Januar vorgestellten Klimapakets bewusst keinen Effizienzvorschlag vor. Dies rechtfertigte sie damit, dass bisher noch nicht genug Erkenntnisse vorlägen über den Stand der Dinge zu der für 2020 gültigen Richtlinie. Im Juni will die Behörde eine Überprüfung (Review) der bisherigen Effizienzvorgaben vorlegen.

Im September will EU-Energiekommissar Oettinger einen Vorschlag zur Effizienz machen. Er sprach sich am 28. Mai 2014 überraschend klar für ein neues Pflichtziel zur besseren Nutzung von Strom und Hitze aus. «Ich bin im Augenblick vorläufig gewillt, ein neues verbindliches Energieeffizienz-Ziel der Kommission vorzuschlagen», sagte Oettinger. Details oder gar die Höhe des Ziels wollte er nicht nennen. Vermutlich ist sein Vorschlag im Herbst eine Art Abschiedsvorstellung für den CDU-Politiker als EU-Kommissar.

Skepsis unter EU-Staaten

Deutliche Skepsis gibt es zudem unter EU-Staaten. Deutschland ist zwar für ein Effizienzziel, dürfte damit aber keine Mehrheit finden. Dies ist auch einer gemeinsamen Absichtserklärung vom März 2014 zu entnehmen, in dem 13 EU-Staaten – darunter Deutschland und Großbritannien – auf die Forderung nach einem Effizienzziel verzichten.

Stattdessen wird in der Erklärung der «Green Growth»-Gruppe nur vage betont, wie wichtig Stromsparen generell sei. Von deutschen Regierungsvertretern ist zwar zu vernehmen, dass sie sich für eine «Zieltrias» einsetzten, also CO2-Reduktion, Ökoausbau und Effizienzsteigerung. Wirklich umsetzbar erscheint das aber nicht.

Wie klein der gemeinsame Nenner aller EU-Staaten beim Thema Energieeffizienz ist, lässt sich wiederum aus der Abschlusserklärung des Europäischen Rats vom März 2013 herauslesen. Hier wird festgehalten, dass die bereits gültige Richtlinie «zeitnah» überprüft sowie ein «Energieeffizienz-Rahmen» erarbeitet werden sollte. Außerdem loben die Autoren das Thema Energieeffizienz als wichtigen Beitrag zur Minderung von Europas Importabhängigkeit.

Kein Wort hingegen zu einem neuen Ziel, kein Wort zu neuen Pflichten. Stattdessen wird sogar noch kritisch betont, dass «die Kohärenz zwischen Treibhausgas-Reduktion, Energieeffizienz und der Nutzung von Erneuerbaren verbessert» werden müsse.

Richtlinie von 2012 aufgeweicht

Die Richtlinie von 2012 gilt als wichtiger Schritt hin zum Stromsparen und damit verbunden auch hin zu mehr Klimaschutz. Allerdings erwies sich der Gesetzgebungsprozess als Schwergeburt. Als er endlich abgeschlossen war, waren wesentliche Teile der Richtlinie verwässert, dies auch auf Druck von Deutschland, Portugal und Finnland. Auf Drängen der Staaten wurde das von der Kommission vorgesehene zusätzliche Einsparvolumen in Europa um ein Drittel gesenkt.

Beispiel: Die jährliche Sparpflicht für Energiekonzerne von 1,5 Prozent der beim Endkunden verbrauchten Energie blieb zwar – wie von der Kommission gewünscht – bestehen. Allerdings konnten für diese Werte auch bereits erbrachte Einsparungen vergangener Jahre angerechnet werden. Als harter Wert für die Sparpflicht blieben somit nur etwa 1,2 Prozent übrig.

Weiteres Beispiel: Die EU-Kommission hatte eine jährliche Sanierungspflicht von drei Prozent des Gebäudebestandes in öffentlicher Hand vorgeschlagen. Dagegen liefen vor allem kommunale Vertreter Sturm. «Der schärfste Gegner war der [Deutsche] Städtetag», sagt Kommissar Oettinger heute im Rückblick auf damaligen
Verhandlungen.

Auch hier blieb der Wert von 3 Prozent zwar im Gesetzestext stehen. Allerdings wurde die Pflicht auf Gebäude im Bundesbesitz begrenzt, die Kommunen und Bundesländer blieben also verschont. In Deutschland sind damit nur etwa 40 Immobilien von dieser Sanierungspflicht betroffen. Oettinger hatte sich im Laufe der Verhandlungen verärgert über die Haltung mancher EU-Staaten geäußert: «Es kann nicht sein, dass jeder Bürgermeister in Sonntagsreden von Energieeffizienz schwärmt, aber wenn es um konkrete Schritte geht, kommt dann nichts.»

Reaktionen nach Verabschiedung 2012

Trotz der inhaltichen Abschwächung der Vorgaben waren die Reaktionen nach der Einigung auf die Richtlinie überwiegend positiv.

Die Richtlinie sei als erstes Regelwerk zur Energieeffizienz enorm wichtig, sagte der Parlaments-Berichterstatter Claude Turmes (Grüne/Luxemburg) nach der Abstimmung im Plenum am 11. September 2012. «Mit der Gesetzgebung üben wir großen Druck auf die Mitgliedstaaten aus, damit sie noch kreativer, intelligenter und fordernder sind, wenn es um nationale Energieeffizienzpläne geht.»

Energiekommissar Oettinger zeigte sich ebenfalls zufrieden: «Das ist ein großer Schritt nach vorn: Erstmals haben wir rechtsverbindliche Energieeffizienzmaßnahmen.» Das sei gut für niedrigere Stromrechnungen sowie für Wachstum und Arbeit.

Energieeffizienz gleich Stromsparen

Der Begriff der Energieeffizienz wird gern als Stromsparen verkürzt. Das stimmt begrifflich nicht, schließlich besagt die Energieeffizienz nur, dass der Strom besser und wirksamer eingesetzt werden soll. Hierbei würde das Verhältnis Energieinput und -output bewertet: Je mehr Wirkung die eingesetzte Energie hat, desto besser. Wenn eine Fabrik also mit modernen Maschinen aufgerüstet wird, könnte sie im Sinne der Energieeffizienz sogar mehr Strom oder Hitze verbrauchen, vorausgesetzt, der Wirkungsgrad der eingesetzten Energie steigt.

Im Vorfeld der 2012 verabschiedeten Richtlinie wurde diese Methodik – nennen wir sie «Energieeffizienz im eigentlichen Sinne» – heftig debattiert. Am Ende wagte sich die EU-Kommission nicht an das Konzept, weil es auch unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten auf zu wackligen Füßen stand.

Dies ist im Falle der EU-Richtlinie aber nicht der Fall – in der Beschreibung der EU-Vorgaben sind die Begriffe Energieeffizienz und Stromsparen letztlich doch synonym verwendbar. Grund hierfür: Das Ziel orientiert sich an absoluten Zahlen. In der Richtlinie wird die Energie aus Öl, Gas oder Kohle in Rohöl-Äquivalenzeinheiten gerechnet. Von den für 2020 prognostiziertem Verbrauch von 1842 Millionen Tonnen Einheiten sollen bis Ende dieses Jahrzehnts 368 Millionen Tonnen eingespart werden.

Dieser methodische Ansatz der Energieeffizienz ist industrienahen Politikern ein Dorn im Auge. Sie argumentieren, dass hierdurch bisherige Musterschüler unter den Staaten und Firmen bestraft würden. So habe Deutschland im Rahmen der Konjunkturprogramme doch schon massiv in die Sanierung von Gebäuden und Fabriken investiert, während süd- und osteuropäische Staaten untätig waren. Die Krux an der Sache: Je effizienter die Anlagen sind, desto teurer wird jede weitere Effizienzverbesserung.

Im Klartext: Modernisierungsarbeiten an osteuropäischen «Dreckschleudern» sind deutlich billiger zu haben als an hochmodernen deutschen Fabriken. Und so würden praktisch die Staaten belohnt, die sich bislang gemütlich zurückgelegt haben – nun könnten sie neue Stromsparpflichten deutlich kostengünstiger stemmen als Staaten wie Deutschland oder Dänemark.

Die Richtlinie im Detail

Die Richtlinie, auf die sich die EU-Instanzen Rat, Kommission und Parlament im Juni 2012 einigten, enthält folgende wesentlichen Punkte:

– Einsparziele für Staaten (Artikel 3 der Richtlinie): Die EU-Staaten setzen sich eigene nationale Zielwerte zur Energieeffizienzsteigerung, und zwar vor dem Hintergrund des 20-Prozent-Ziels für die EU insgesamt. Die Ziele sind allerdings nicht verbindlich, wie es das EU-Parlament gefordert hatte. Mitte 2014 soll die EU-Kommission bewerten, ob die Staaten auf dem richtigen Weg sind. Sollte das nicht der Fall sein, kann die Kommission härtere Maßnahmen vorlegen.

–  Sanierungspflicht (Artikel 4): Die Regierungen müssen jährlich drei Prozent ihrer Gebäude energetisch sanieren. Hier haben sich Kritiker der Richtlinie im EU-Rat durchgesetzt – aus allen Gebäuden der öffentlichen Hand wurden nur die Gebäude der «Zentralregierung». In Deutschland sind das nach Angaben vom Grünen Turmes nur die 37 Bauten der Bundesministerien. Kommunen und Länder mit ihren Unis, Schulen und Kindergärten sind nicht betroffen.

– Langfristige Sanierungsstrategie (Artikel 3a): Gewissermaßen als Kuhhandel für die starke Verwässerung von Artikel 4 wurde dieser neue Artikel eingeführt, der in den Vorschlägen von Kommission und Parlament nicht enthalten war. Hier werden die Staaten dazu verpflichtet, eine langfristige Sanierungsstrategie für ihren kompletten Gebäudebestand zu entwerfen. Das soll zum einen Klarheit bringen, wieviele private und öffentliche Bauten genau es gibt, zum anderen soll es die Staaten schwarz auf weiß zu mehr Energiesparambitionen leiten.

– Öffentliche Auftragsvergabe (Artikel 5): Die Kommission wollte durchsetzen, dass im Auftrag der öffentlichen Hand nur hocheffiziente Produkte gekauft werden dürfen. Diese Vorgabe wurde auf Druck des EU-Rats abgeschwächt, zum Beispiel betrifft er nur noch Aufträge der «Zentralregierung». Die Kommission soll 2015 überprüfen, ob dieser Artikel überhaupt etwas bringt.

– Einsparpflicht für Energieversorger (Artikel 6): Das Kernstück der Richtlinie, das die Hälfte des zusätzlichen Einsparpotenzials ausmacht: Energieversorger werden zu jährlicher Energieeinsparung von 1,5 Prozent ihres Absatzes beim Kunden verpflichtet. Als Vergleichswert gilt die Strommenge, die ohne zusätzliche Anstrengungen verkauft würde. Den Einnahmenausfall sollen die Energieversorger durch eigene Geschäfte mit Effizienzdienstleistungen kompensieren. Hierzu gab es den heftigsten Streit.

Die dänische Ratspräsidentschaft fand mit folgendem Kompromiss eine Mehrheit unter den EU-Staaten: Alle Einsparungen, die in den Ausnahmen angerechnet wurden, dürfen nicht mehr als ein Viertel dieser 1,5 Prozent ausmachen. Einige Maßnahmen, die bereits geleistet wurden, dürfen rückwirkend einkalkuliert werden. Durch die Ausnahmeregeln sinkt das Einsparpotenzial in diesem zentralen Richtlinien-Punkt etwa um ein Drittel.

– Energieaudits (Artikel 7): Größere Firmen müssen alle drei Jahre einen Energieaudit machen, damit Einsparpotenziale ermittelt werden.

– Transparenz beim Energieverbrauch (Artikel 8): Die EU-Staaten müssen sicherstellen, dass Verbraucher unter anderem durch Smart Meter (Stromzähler) und häufigere Abrechnungen über ihren Energieverbrauch im Bilde sind. Durch mehr Transparenz wissen die Verbraucher besser über ihren Energieverbrauch Bescheid – und sparen dann bewusster an Heiz- und Stromkosten. Hier hat sich der EU-Rat durchgesetzt – die ehrgeizige Maßnahme hat an Biss verloren: Statt monatlicher Rechnungen müssen die Stromunternehmen nur alle drei bis sechs Monate Rechungen schreiben.

– Kraftwärmekopplung (Artikel 10): Die Energiebranche und Industrie werden zur Kraftwärmekopplung (KWK) bei neuen oder modernisierten Kraftwerken mit einer Mindestleistung von 20 Megawatt verpflichtet. Dadurch soll weniger Energie durch ungenutzte Abwärme verloren gehen. Diverse KWK-Ausnahmeregelungen im Kommissionspapier entfallen im Parlamentspapier.

– Smart Grids (Artikel 12): Energieversorger müssen sich darum bemühen, damit die Stromnachfrage in Spitzenzeiten sinkt. Bisher spielte der Verbraucher keine Rolle, stattdessen hat der Versorger zusätzliche Energiequellen miteinbezogen. Beispiel der Verbesserung durch die Richtlinie: Wenn das Stromangebot an sonnigen Tagen durch Photovoltaik groß ist, könnten Kühlschränke automatisch anspringen und intensiv kühlen. Wenn hingegen kaum Öko-Energien fließen und die Stromnachfrage groß ist, könnte der Kühlschrank ausgehen und die Temperaturen darin durch die gespeicherte Kälte lange niedrig bleiben. Das ist ein ehrgeiziger Part der Effizienzrichtlinie.

– Hohe Anforderungen an Handwerker (Artikel 13): Staaten müssen ab 2014 ein anspruchsvolles Zertifizierungs- und Qualifizierungssysteme für die Anbieter von Energiedienstleistungen (etwa Installateure) sicherstellen. Die Systeme sollen europaweit vergleichbar sein.

Veröffentlicht am 28. Mai 2014 in
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