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Welt kompakt: Gegen den Strom

Öko-Energierabatte für die Industrie: EU-Kommission eröffnet Verfahren gegen Deutschland

Einen Angriff auf Windräder und Solaranlagen wittern die einen, den Versuch einer Schwächung der deutschen Industrie die anderen: Wenn jede interessierte Partei das nahende Ende der Welt heraufbeschwört, dann muss EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia einen empfindlichen Punkt getroffen haben.

Almunia gab gestern in Brüssel bekannt, dass er ein Verfahren gegen Deutschland einleiten werde, vor dem vor allem industrielle Energiekunden zittern: Die EU-Kommission untersucht jetzt, ob die Bundesrepublik über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) unerlaubte Staatsbeihilfen verteilt. Im Visier ist insbesondere die “Besondere Ausgleichsregelung” im EEG, das energieintensive Betriebe von der Zahlung der EEG-Umlage weitgehend befreit. Im ungünstigsten Fall droht den bislang begünstigten Unternehmen nun zum einen die volle Belastung durch die EEG-Umlage, zum anderen könnten Rückzahlungen in Milliardenhöhe fällig werden. Vor allem Vertreter der Chemie- und der Metallindustrie warnen deshalb bereits vor einer Pleitewelle mit Zehntausenden Arbeitsplatzverlusten und Betriebsstilllegungen. Die Bundesregierung hat nun einen Monat Zeit, um auf die Vorwürfe zu antworten.

Das EEG an sich hat die Kommission im Jahr 2002 bereits einmal gutgeheißen, das heißt, nicht als staatliche Beihilfe eingestuft. Eine Änderung im Jahr 2012 ist es aber, auf die sich Almunia nun konzentriert. Die damals in Berlin beschlossene Fassung des Gesetzes “beinhaltet eine Reihe neuer Elemente”, heißt es in der ausführlichen Begründung der Kommission: “Insbesondere gilt dies für die Einführung der EEG-Umlage, die Unterscheidung zwischen Endverbrauchern, die sie zahlen müssen, und privilegierten Verbrauchern, die von einer Kappung des Aufschlags profitieren.”

Das deutsche, formalistische Argument, eine von Stromkunden finanzierte Umlage könne gar keine Beihilfe darstellen, lässt der Kommissar nicht gelten: “Der pure Fakt, dass die Vergünstigungen nicht direkt aus dem Staatshaushalt finanziert werden, reicht nicht aus, um auszuschließen, dass öffentliche Mittel involviert sind, anders als Deutschland das anzunehmen scheint”, so Almunia.

Die Tatsache, dass Almunia nur Teile des EEG direkt angreift, zugleich aber sehr viel stärker die Ökostrom-Rabatte der Industrie aufs Korn nimmt, löste unter Umweltschützern und Ökostrom-Verbänden Erleichterung aus. Insgeheim hofft man dort nun, das System staatlich garantierter Einspeisevergütungen über die Zeit retten zu können.

“Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat diesen Schritt selbst verschuldet”, kommentiert etwa Greenpeace-Sprecher Tobias Austrup das Verfahren der EU-Kommission: “Sie hat mit ihren ausufernden Industrieprivilegien bei der Ökostrom-Umlage unnötig die Energiewende gefährdet.” Das deutsche EEG sei aber mit europäischem Recht grundsätzlich vereinbar, zitiert Astrub aus der EU-Verfahrensschrift. “Die neue Bundesregierung muss nun die Industrieausnahmen so verringern, dass das EEG als wichtigstes Instrument der Energiewende aus der Schusslinie gerät.”

Vertreter der Wirtschaft und der Energiebranche glauben jedoch nicht, dass sich Brüssel allein mit einer Reform der Industrie-Privilegien zufrieden geben wird: Aus ihrer Sicht ist die Ökostrom-Förderung nach dem EEG mit den Industrie-Privilegien untrennbar verbunden. Die Reform des einen müsse sich auch auf das andere auswirken.
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Politiker des CDU-Wirtschaftsflügels etwa fordern eine Generalrevision der Einspeisevergütung für Ökostrom. Stromrabatte für energieintensive Industrien seien nur ein Symptom einer insgesamt verfehlten Gesetzgebung. Vielmehr müsse das System der 20-jährigen Einspeisevergütung mit Einspeisevorrang für Ökostrom durch Brüssel insgesamt korrigiert werden, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme der drei Parlamentarier und Mittelstandssprecher Carsten Linnemann, Markus Pieper und Hendrik Wüst. Wenn die EU-Kommission die Förderung Erneuerbare Energien europaweit harmonisieren möchte, helfe kein “Herumdoktern an Symptomen”. Anstatt die Ausnahmen im Fokus zu haben, bedürften die nationalen Einspeisesysteme – nicht nur in Deutschland – dringend einer EU-rechtlichen Neubewertung.

Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) wertet das EU-Verfahren offenbar als Auftrag, die gesamte Ökostromförderung zu reformieren. “Es ist positiv, dass die Kommission das EEG nicht grundsätzlich in Frage stellt”, betonte BDEW-Chefin Hildegard Müller. “Dennoch besteht erheblicher Reformbedarf beim EEG.” Die mit der Befreiung der energieintensiven Industrien verbundene Diskussion um die Kostenentwicklung des EEG und die Belastungen der Stromkunden gehe an der eigentlichen Aufgabe vorbei, so Müller: “Es muss in Zukunft vor allem darum gehen, die Entwicklung der Gesamtkosten des EEG zu begrenzen anstatt nur über die Verteilung der Kosten zu reden.”

Der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Joachim Pfeiffer, betonte, dass das EEG eine Be- und keine Entlastung sei: “Die aus dem EEG resultierenden Kosten von inzwischen über 23 Milliarden Euro jährlich sind eine Sonderlast für die deutschen Stromverbraucher – einschließlich der deutschen Industrie”, sagte er. “Die Entlastung von dieser Sonderlast verschafft der energieintensiven Industrie keinen Vorteil gegenüber europäischen Wettbewerbern. Sie ist lediglich ein teilweiser Ausgleich für einen bestehenden erheblichen Wettbewerbsnachteil.”

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