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Deutsche Handwerks Zeitung: “Gefahr droht, wenn man alles durchwinkt”

EU-Parlamentarier Markus Pieper über das duale Ausbildungssystem als Vorbild und die Frage, warum die EU-Kommission das System immer wieder infrage stellt. – Von Frank Muck

DHZ: Herr Pieper, Sie selbst betreuen Strukturförderungsprojekte in der EU. Versucht man das deutsche Wirtschaftssystem mit seinem starken Mittelstand auf die Verhältnisse in anderen Ländern zu übertragen oder setzt man eher an deren eigenen Stärken an?

Pieper: Ich habe gerade einen griechischen Unternehmer kennen gelernt. Der möchte eine Produktionslinie für Fruchtsäfte bauen und hat das Problem, dass er bei einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent kaum qualifizierte Kräfte findet. Denn einen Mittelbau an Fachkräften wie in Deutschland gibt es nicht. Wir wollen deshalb ein Bewusstsein dafür schaffen, was ein duales Bildungssystem leisten kann. Denn solche Dinge, die am Bedarf der Wirtschaft umgesetzt werden, wirken nachhaltig.

DHZ: Von welcher zeitlichen Perspektive sprechen wir da?

Pieper: Wenn Sie in südeuropäischen Ländern mehr als 50 Jahre lang für die berufliche Lehre eine vollschulische Ausbildung hatten, können Sie das nicht in drei bis vier Jahren ändern. Das wird sicherlich eine Generation brauchen, bis wir auch in diesen Regionen solche Strukturen verankert haben.

DHZ: Die EU hat also erkannt, dass das deutsche System der beruflichen Bildung qualitativ hochwertig ist. Wieso kommt es trotzdem immer wieder zu Angriffen – so wie vor Kurzem von EU-Binnenmarkt-Kommissar Michel Barnier?

Pieper: Das ist regelmäßig bei der Kommission zu beobachten. Sie möchte Berufsbilder in Europa vergleichbar machen. Sie möchte, dass wir schneller wissen: Was können polnische Fachkräfte? Was können deutsche? Um diese dann schneller in Unternehmen einsetzen zu können. Bei ihrem Bestreben schießt sie jedoch regelmäßig über das Ziel hinaus und fordert statt einer Vergleichbarmachung eine Vereinheitlichung.

DHZ: Wie können Sie als Parlamentarier dagegenhalten?

Pieper: Gerade als deutscher Politiker muss man immer wieder sehr genau auf die Vorschläge der Kommission schauen. Oft weiß man dort auch nicht, was in Deutschland die Qualität ausmacht. Wir schauen im Parlamentskreis Mittelstand sehr genau hin. Nehmen Sie zum Beispiel die Festlegung auf einen europaweiten Ausbildungsrahmen. Dort haben wir ja die Abiturpflicht für Krankenschwestern verhindern können.

DHZ: Der EU-Vorstoß hat ein großes mediales Echo hervorgerufen. War das übertrieben oder ist die Gefahr real?

Pieper: Die Gefahr ist dann real, wenn man alles einfach nur durchwinkt und wenn von vornherein nicht darauf hingewiesen wird, dass die Verwässerung des Zugangs zu diesen Berufen weitere Folgen haben kann. Wir haben ja auch nicht gesagt, dass der Meisterbrief gefährdet ist, sondern “Hände weg vom Meisterbrief!”, also im Grunde zwei Schritte weitergedacht. Das ist so eine Art Frühwarnsystem, das unsere Bedenken der Kommission gegenüber öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck bringt.

DHZ: Die meisten EU-Länder haben kein duales System und keinen Meisterbrief. Gehen Ihnen nicht irgendwann die Verbündeten aus?

Pieper: Bei der Berufsanerkennungsrichtlinie ist es uns gelungen, Mehrheiten zu organisieren, siehe Abiturpflicht für Krankenschwestern. Eine Abstimmung zu Zugangsbeschränkungen für die Berufsausübung käme frühestens in zwei Jahren. Bis dahin arbeiten wir daran, das zu verhindern.

DHZ: EU-Kommissar Barnier möchte die Zugangsbeschränkungen prüfen lassen. Wie würden solche Prüfungen überhaupt durchgeführt?

Pieper: Das kann nur erfolgen, indem man die Handwerksorganisation selbst befragt und indem man andere Wirtschaftsverbände und Arbeitnehmerorganisationen fragt, wie sie mit diesen Berufen klarkommen und ob sie die Reglementierung für gerechtfertigt halten oder nicht. Die Kommission bildet sich auf Basis dieser Konsultationen eine Meinung. Umso wichtiger ist es, dass die Kammerorganisation von dieser Konsultation weiß und dass sie sich mit ihrer Klientel Gehör verschafft.

Veröffentlicht am 7. November 2013 in , ,
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