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Aachener Zeitung: »Wenn nicht die gesamte Wirtschaft ohne Quote bleibt, so sind Ausnahmen für den Mittelstand das mindeste.«

Brüssel. Europas Pläne für eine Frauenquote drohen zu scheitern. Knapp drei Wochen vor der
entscheidenden Sitzung des Ministerrates zu dem Thema haben die Gegner offenbar gewonnen – und sich
dabei heftiger Tricks bedient. 40 Prozent aller Plätze in Aufsichtsräten wollte EU-Justizkommissarin Viviane
Reding ab 2020 für Managerinnen reservieren. Doch die Vorlage kam erst im Europäischen Parlament und
anschließend im Kreis der Mitgliedstaaten unter die Räder. Ursprünglich hatte die Kommission kleine und
mittelständische Unternehmen (KMU), die an der Börse notiert sind, von der Quote ausnehmen wollen. Doch
das stieß bei einigen europäischen Volksvertretern auf Widerstand. »95 Prozent der Betriebe in Deutschland
sind Familienunternehmen, bei denen 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten tätig sind.
Zu den bekanntesten Familienunternehmen in Form einer Aktiengesellschaft gehört die BMW AG«, sagt die
Sozialdemokratin Kerstin Westphal. »Es kann nicht sein, dass solche großen Betriebe von ihren
Verpflichtungen zur Geschlechtergerechtigkeit befreit werden.«

Genau das wollten die Konservativen aber erreichen. »Wenn nicht die gesamte Wirtschaft ohne Quote bleibt,
so sind Ausnahmen für den Mittelstand das mindeste«, betonen die beiden EU-Parlamentarier Markus
Pieper (CDU) und Markus Ferber (CSU). Offenbar hatte man im Kreis der Mitgliedsstaaten schon befürchtet,
dass das Straßburger Parlament sich zunächst verkrachen und dann massive Zusatzforderungen erheben
würde. Die gab es denn auch prompt. Beispiel Sanktionen für Betriebe mit männlicher Übermacht: Wer eine
Quote nicht beachtet, sollte mit dem Entzug öffentlicher Aufträge, von EU-Fördermitteln und weiteren
Einschnitten bestraft werden. Sogar vom zwangsweisen Entfernen aus dem nationalen Handelsregister war
in Vorschlägen die Rede.

Doch da hatte der Ministerrat bereits einen anderen Weg gefunden, die Abgeordneten mundtot zu machen.
Die juristischen Berater des Rates hatten in einer Expertise festgestellt, dass die Kommission die Quote auf
einer zu dünnen rechtlichen Grundlage aufgebaut hatte. Statt Artikel 157 des Vertrages über die Arbeitsweise
der Europäischen Union müsse eine solche Maßnahme auf Artikel 19 bezogen sein. Ein Griff in die Trickkiste
mit großen Folgen: Denn bei Maßnahmen, die auf dieser Rechtsnorm aufsetzen, hat das Parlament kein
Mitspracherecht mehr. Die Volksvertreter waren außen vor.

Damit haben die Wirtschafts- und Sozialminister der Mitgliedsstaaten nun freie Bahn und können ungehindert
entscheiden. Wie deren Urteil bei der nächsten Sitzung am 15. Oktober ausfällt, scheint absehbar: Insgesamt
neun Mitgliedsstaaten haben schriftlich ihren Widerstand gegen eine EU-Frauenquote eingereicht. »Wir teilen
die Sicht der Kommission«, dass Frauen überall in Europa gefördert werden müssten, heißt es in den
Begründungen aus den Hauptstädten. Aber nicht mit einer Frauenquote aus Brüssel. Das sollten die
Regierungen selber machen. Fazit: 120 Stimmen von 352 gibt es bereits, die sich gegen eine EU-Quote
richten. Das reicht, um den Plan endgültig zu verwerfen. Für seine Durchsetzung wäre eine qualifizierte
Mehrheit (260 Stimmen) nötig.

Die Befürworter haben allerdings noch eine kleine Hoffnung. Sollte die deutsche Bundesregierung (sie hat im
Ministerrat 29 Stimmen) nämlich umfallen oder aufgrund von Vereinbarungen in einem neuen
Koalitionsvertrag umfallen müssen, wäre die Sperr-Minorität gebrochen. Ohne ein neues Regierungsbündnis
dürfte klar sein, dass Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen im Sinne ihrer Chefin, Bundeskanzlerin
Angela Merkel, der europäischen Frauenquote den Garaus macht.

Veröffentlicht am 28. September 2013 in ,
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